geboren in Basel, behütet aufgewachsen, polternd ausgebrochen und heute angekommen
Frühe Begegnung mit Klang. Ich spielte die elektrische Eisenbahn immer unter Mutter’s Klavier und fragte mich, wie man bloss Musik und diese HARMONIEN „einfangen“ und auf die Eisenbahnwagons packen könnte… also hämmerten sich viele Töne in wertvolle Beulen.
Einmal – ich war vermutlich ca. 5 Jahre alt – nahm mich meine Mutter an eines ihrer Abonnements-Konzerte im Stadtcasino Basel an der Seyby mit. Ein schwarzer Mann – Erroll Garner – spielte rasenden Jazz, wobei er nie auf seine Finger schaute, sondern immer nur freundlich abwesend umher äugte. Eine Melodie („Misty“) grub sich tief in die Schatzkiste meiner „geheimen Lieblinge“ ein.
Auf die Frage meiner Mutter, was ich eigentlich werden wolle, hatte ich ihr wohl gesagt: „Musiker“! (weil man dabei immer spielt vs. arbeitet)…
Eines Abends brachte der Silberrücken ein Ultravox nach Hause, ein Diktier-Gerät mit Folie, Mikrofon und Fussschalter…
Es war faszinierend:
man konnte Musik also sehr wohl „festhalten“. Wenn das Diktat mal eingesprochen war, konnte man die SchallFolie – zur Wiederholung – mit dem Fusspedal einen kleinen Sprung rückwärts springen lassen und Diktat bzw. Töne wiederholen, also auf die Transportwagons meiner Güterzüge packen.
So nahm ich z.B. blubbernden Kartoffelstock auf, stellte das erstaunliche Utensil auf’s Klavier, drückte eine Taste (auf dem Klavier) und betätigte das Fusspedal wieder und wieder: ewiges Blubbern in A (Deus ex machina)!
Der Kiefer baumelte oft lange bei diesem endlosen, meinem ersten Arrangement für ‚Klavierton mit Kartoffelstock‘. Vielleicht war die Mutter etwas besorgt und steckte mich in einen Kinderchor. Ein seminaler Erfolg.
Sie war die beste Mutter in allen Tonarten, auch wenn sie mir manchmal mit ihren Dahlien-Stecken den Hintern versohlte… allerdings nie wirklich lange, weil ich sehr laut dazu ’sang‘, und was dachte dann auch Fam. Roth, der Nachbar hinter dem Komposthaufen?…
JFK’s Ermordung war ein Schock und beeinflusste nachhaltig die Kurven eines weniger konventionellen Lebenslaufs.
Ca. 1965 brachte Vater den letzten Schrei nach Hause: ein „tragbares“ Philips 5857 AG Grammophon mit 4 Geschwindigkeiten
Er schüttelte den Kopf ob der ebenfalls mitgebrachten Vinyl_Platte (André Pop’s «Délires en hifi-stéréo»), welche man stereo hören musste, indem man den Kopf zwischen die beiden Lautsprecher steckt und eine bekannte Posaunen Melodie auf erstaunliche Art ertönte: nämlich „rückwärts“!
Hier wurde offensichtlich verwegen getrickst: das Tonband musste eingangs mit der originalen Melodie eingespielt worden sein. Dann umgedreht, „verkehrt“ erlernt und auf diese Weise erneut auf Band aufgenommen, dann dieses Band wieder flux umgekehrt, und so entpuppte sich die Melodie dann wieder im Original, aber „rückwärts klingend“!
Die Aparatur – stolz tronte sie auf Mutter’s Flügel – musste nach jedem „Hör-Ausflug“ wieder versorgt werden, weil Mutter keine Platten hören konnte:
die damaligen Geräte verfügten über keine Fein_Einstellungsmöglichkeit für die Drehgeschwindigkeit. Nun hatten verschiedene Platten eben auch verschiedene „Eigenarten“: sie waren nicht „ge_eicht“ auf nominale 440-er_Stimmung. Meine Mutter besass absolutes Gehör und konnte deshalb praktisch keine Platten hören. „Zu hoch“ oder „zu tief“, meistens nur Schmerz! Deshalb las sie stattdessen abends einfach Partituren, anstatt eine evtl. nicht rund laufende Platte über sich ergehen lassen zu müssen… Nur Clara Haskills Chopin Platte „funktionierte“… und ich liebte Chopin!
Meine eigene erste Platte war Bob Dylan’s „Subterranean Homesick Blues“, während der akustische Held zum Idol mutierte. Bruder Philippe empfahl immer die richtigen Bücher. Den „Fänger im Roggen“ verstand ich noch nicht ganz, dafür liebte ich Rilke…
Zur Weihnacht erhielt ich von meiner Gotte die Beatles LP „Rubber Soul“ und 1967 schlug der Summer of Love ein…
Während Vater nur Märsche und/oder Studentenzoten hörte, war Musik für ihn nur „etwas für Saltimbanques“ (Gaukler). Alle Geschwister ‚erlernten‘ zwar ein Instrument, aber ‚miteinander‘, ‚Zusammenspiel‘ war nicht auf dem Plan. Dafür spielte Bruder Philippe mir Herbie Mann’s „Memphis Underground“, „Comin‘ Home“ von Ben Tucker, Roland Kirk’s „Serenade to a cuckoo“ und solche Sachen vor, also wurde (Quer)Flöte Programm…
…und eine Orgel musste her, und eine Band, und ein Aufnahmegerät, zum jetzt auch mal richtig Musik festhalten…
Mit diesem Kassettengerät (eins der ersten!) liessen sich zwar nicht so schräge Deliriums machen, aber dafür konnte man damit schon mal richtige Musik aufnehmen!
Mein Jugendfreund Andreas Ernst (extrem begabter und erfolgreicher Allrounder) machte gerade seine Radio-Mechanikerlehre, also bastelte er einen Kopfhörerausgang für den quasi-Grossvater des Walkmans. Ich nähte das Teil in meine Ski-Jacke ein und wedelte damit vergnügt das Lauberhorn runter bis zu einem Sturz, wobei das Gerät auf die Piste schlitterte und plärrend den Berg runter hüpfte…
Indes allerdings alles noch auf „Low-Fi“_Ebene verlief, auf der Konsumenten_Ebene, und darum zwingend ein portables (UHER 4400) Tonbandgerät mit bereits professioneller Tonqualitäten angeschafft werden musste; dazu zwei Sennheiser-Mikrofone (MD 421)
und zum ausprobieren, begannen wir alle Konzerte aufzunehmen, die wir regelmässig und fleissig besuchten.
Beständig auf der Jagd nach neuer Musik und neuen Sounds, entdeckte ich eines Tage die seltsame Plattenhülle eines Georg Kreislers, ein Makaberist, ein verkannter Wortejongleur… …
…sein Opernboogie blieb ein unauslöschlicher Einfluss bis heute. Aber nie wieder sollte ich versuchen, eigene Texte zu schreiben. Viel mehr der instrumentalen Musik huldigen, auch wenn Lieder und Gedichte – gerade in Songform – grossen Stellenwert behalten sollten. Auf Grund folgender Anekdote klimperte ich 40 Jahre später ein paar dessen Lieder…
Gerne erinnere ich mich an die schöne Episode:
Als Sohn (Linus) in der Schule einen Rap lernen und aufführen sollte, bot ich ihm meine Hilfe an; er würde mit 8 Stunden Fleiss den von ihm ausgewählten Rap souverän vortragen können. Er wollte wissen, ob ich denn rappen könne… überraschenderweise kam mir augenblicklich Kreislers Opernboogie in den Sinn… das überzeugte den Sohn, genug Fleiss in Kauf zu nehmen und nachdem ein rudimentäres Playbäck gebastelt war, ergatterte Linus mit seinem Vortrag eine respektable Note… 🙂
Lange vor der Einführung von Samplern, boten sich viele Gelegenheiten, jenste Sounds zu sammeln mit denen sich zwitschern und donnern liess von Baulärm über Wind und Wetter bis Studenten-Obszönitäten oder anderem mehr.
Dann entdeckte ich auf einem Blue Horizon Album:
Eddie Boyd (25. November 1914 – 13. Juli 1994)
Sänger und Pianist aus Chicago kam mit der „british blues invasion“ nach Europa und veröffentlichte Platten mit u.a. Peter Green’s Fleetwood Mac und John Mayall’s Bluesbreakers (als Begleitband !). Im Verlauf seiner Konzerte auf dem alten Kontinent gastierte er 10 Tage in (Klein)Basel in der „Chemihütte“, eine verruchte Spelunke… Diese kleinen Konzerte lösten eine phantastische Geschichte aus:
die Anziehungskraft war dergestalt stark, dass ich jeden Abend von zu Hause heimlich (über den Balkon) ausbüchste. Und eines Abends stand plötzlich meine Mutter in der Spelunke und legte einen grossen Blumenstrauss auf Eddie’s Klavier. Sie meinte, es wäre doch nett, wenn er uns zu Hause einmal besuchen komme, damit ich nicht ständig ausbüchsen müsse und – während der Schulzeit – nicht solche Mühe zum Aufstehen hätte… Eddie meinte, ja, doch, warum nicht, er würde sich mal melden. Und eines Tages rief er an und sagte: „Can you come down to the train station and pick me up?“ Ich dachte zuerst, einer meiner Schulfreunde wolle mich veräppeln, aber fuhr trotzdem mit dem Tandem an den Bahnhof und strampelte mit ihm nach Hause zu meinen Eltern!
Eddie blieb letztendlich zu Gast während 3 Monaten. Irgendwann entdeckte er, dass ich eigentlich Querflöte spielte und bestand fortan darauf, mich eher auf Flöte zu trimmen, zeigte mir riffs, licks & tricks und schlug vor, ihn auf Tour zu begleiten. Die Eltern waren zu meiner grossen Überraschung und Freude einverstanden damit, also ging’s durch Norddeutschland von Hamburg bis Ostberlin!
1967 spielten die Rolling Stones im Hallenstadion in Zürich…
und
1968 gastierten im Frühling am Monsterkonzert Jimi Hendrix, John Mayall’s Bluesbrakers, die exzentrische Show mit Rauchbomben et all von Eric Burdon, Traffic und „The Move“… die Schleusen waren nun vollends geöffnet. Der Bogen war gespannt von Folksongs und seine „Derivate“, Musik mit einer B o t s c h a f t + was aus der britischen Blues Explosion zu entstehen begann… von Steve Winwood über „Them“ und den „Kinks“ bis zur grossen Entdeckung von Brian Wilson’s „Pet Sounds“, nebst all der herrlichen klassischen Musik, dem Wandel vom alten Swing zum neuen JazzRock…
Und Photographieren kam jetzt auch noch dazu mit Vaters alter Roley Flex 4 x 4
und einer Nikon F1 (mit Fisheye) + schwarz/weiss_Photolabor im Dachstock, damit all die Konzerte auch mit Bild festgehalten werden. Es machte Spass, nach den Konzerten gleich die Filme zu entwickeln und – oft – gleich am nächsten Tag in’s Hotel der Konzertgeber zu gehen, um sie signieren zu lassen… Das Archiv ist heute in Bern, sofern der Archivar die Negative bereits gezogen hat… (siehe Link zur Seite).
1969 durfte ich mit meinem Bruder (Philippe) und Esther auf deren Hochzeitsreise. Auf die Orkney Inseln, zurück über Schottland nach London, carnaby street und portobello road, rauchte Schuhputzcrème und weckte den Lockruf, ein Jahr später nochmals nach London zu gehen, „auf eigene Faust“, mit Jugendfreund Andreas (R.I.P.) mit seinem Uher 4400.
Wir besuchten Ronnie Scott’s und das Marquee, machten Aufnahmen von phantastischen Konzerten… Chris McGregor’s Brotherhood of Breath, King Krimson, Graham Bond, Keith Tippett’s Centipede, Nucleus, Gary Burton und viele anderen bleiben unvergessliche Erlebnisse…
…ich sparte lange Ziet für meine erste Stereo-Anlage, 2 grosse Lautsprecher, getrennter Verstärker + Plattenspieler… verbarrikadierte mich stundenlang mit all den Rafinessen von Zeitgeist mit Kopfhörern und las immer noch Hesse, Rilke, Camus, Po, Dostojewski, Ambrose Bierce…
Musik liess sich also „festhalten“!
Aber der Klang davon? Der Sound?
Mit der Band liess sich zwar prima provokativer Protest plärren, allerdings blieb ein erweiterter Horizont auf der Strecke der Ansprüche an vielfältigem Sound und/oder Improvisation.
…und das Chorsingen blieb unterdessen wegen Stimmbruch im Hals stecken.
Alles war zu pastell, zu wenig wild für Pubertät + Lust auf Abenteuer + Sucht nach neuen ungehörten Klängen… und wurde eh etwas zu wenig wild für blühende Fantasie + Pubertät.
Um nicht noch mehr „handvoll“ zu werden, wurde ich (1971) nach Neuenburg „outgesourced“, um doch noch so etwas wie Ausbildung zu erfahren (Handelsschule und Konservatorium bei Meister André Pépin vom Orchestre de la Suisse Romande aus Genf).
In weiteren 20 Jahren Aufenthalt in Neuenburg schürte ich das Feuer der eigenen Realität, entdeckte meine „wirkliche“ Familie, den Bruder- und Schwester_Clan der Musiker.