Linton Kwesi Johnson – ein Name, der allen Reggae-Liebhabern auf der Zunge zergeht.
Der Schwarze mit der tiefen Bassstimme ist nur einer von vielen Künstlern, die das kleine, feine Schweizer Plattenlabel “Mensch Records” auf seiner Produktion “The Dawn of Peeni Waali” versammelt hat. Und dabei kam ein mitreissendes Klangepos heraus.
Der grosse Wurf mitten im Sommerloch. “Und es sind doch nur wieder Perlen vor die Säue“, meint Fizzè. Er sollte nicht so schnell verzagen, Millionen Fliegen mögen irren und sich auf den gewöhnlichen Pop-Haufen setzen. Wer aber zu “Peeni Waali… The Dawn” greift, der hält in der Tat geschliffene Perlen in den Händen. Empfehlenswert ist es, gleich zur CD zu schreiten und diese mit ihren insgesamt 16 titeln aufzulegen. Zum Vergleich: Neun Titel enthält die gewöhnliche LP (plus Single). Das Sound-Wunderwerk aus dem Schweizer Hause “Mensch Records” (Bezugsadresse: Sparrengasse 7, CH – 9476 Weite, Fax.: ++41 81 783 33 69) ist ein multikulturelles Ereignis der Extraklasse.
Fizzè, wie ihn Freunde, Kollegen und Künstler nennen dürfen, hat mit seinem Ein-Mann-Betrieb Hochleistungssport betrieben. Eine der saubersten Produktionen dieses Jahres, erschienen auf einem Schweizer Independent Label mit international renommierten Künstlern. Wer den Reggae auch nur ein bisschen mag, der schnalzt bei folgenden Namen der Teilnehmerliste mit der Zunge: Linton Kwesi Johnson, Lee “Scratch” Perry, Dennis Bovell oder Robbie Shakespeare wirken neben vielen anderen mit. Doch was macht nun die Magie dieses Klangepos’ aus?
Bei allen Titeln hat Fizzè mitgewirkt, meist an den Keyboards. Was ihn umtreibt, hat viel mit Politik zu tun. “Trotz des Damokles-Schwertes der heutigen Zeit sind wir überzeugt, dass positive Aussagen eine Daseinsberechtigung in sich tragen; und sei dies auch nur als Gedankenanstoss und -austausch oder zur Befruchtung neuer Ideen.” Von “dualistischen Mechanismen” spricht er. Mit Kindern ist als nächstes eine Show geplant, in der über eine Welt “ohne Zins und Zinseszins” reflektiert werden soll. Wer das für spinnert hält, der sollte mal zu den alten Werken des Schriftstellers und Begründers des Science Fiction, H.G. Wells (“Zeitmaschine”), zurückschauen.
Auch das von Fizzè angepeilte Movement verläuft quer durch Raum und Zeit: eine Menschheit, die sich ausschüttet vor Lachen über die Lächerlichkeit von Grenzen, Nationalismen und der darum herumgestrickten einfältigen Gewalt. Konsequent durchbricht daher “Peeni Waali” alle nur denkbaren Pop-Genres-Grenzen, wird ein ganzes Orchester des Ausgefallenen präsentiert: Ukulele, Zither, Balafon, Handorgel, Flöte, Violine, Kalimba, aber auch die Klänge von Milchkannen oder -flaschen. Vierstimmige Frauenchöre neben einem auf einem saudiarabischen Marktplatz aufgenommenen Muezzin. Doch wer jetzt mutmasst, dass dabei alternatives Geklingel und Geklöter heauskommen muss, der spekuliert falsch. Titel wie “Skarab” oder “Rockaman Dub 1” sind durchaus neben etlichen anderen auch auf gewöhnlicher Dikco-Tanzfläche denkbar. Motto vieler Songs: Da fliegt dir glatt das Blech wech…
Ein stilistisches Highlight: “Irish Ire”, worauf ein gigantischer Crossover gelingt. Gekreuzt wird beste irische Volksmusik in Form einer eingängigen Schunkelmelodie mit tiefem basslastigem Reggae. Aus dem Pub – hin zum Dub! Genial.
“Begegnungen schaffen bekanntlich Brücken. Diese zu überqueren – und noch weiter zu gehen – ist ja eine der Triebfedern überhaupt. Und durch Austausch zwischen Begegnungen ist es hier nun gelungen, viele Musiker mit verschiedenem Background zum Mitmachen zu bewegen.”
Fizzè ist durchaus stolz auf sein Werk, auch wenn er dabei noch Schwierigkeiten im Markt sieht. Vertrieben (CD, LP, Cassette & DAT) wird das Klangprodukt im Eigenvertrieb, Kosten für Werbung oder Promotion sind nicht drin. Das ganze Geld steckt bereits in der Platte, die in der Tat nirgendwo mit akustischen Reizen geizt, noch irgendwann den Gähn-Effekt auslöst. Soviel Idealismus und Kreativität möchte man sich generell wünschen. “Die durch die Begegnungen geschaffenen Freundschaften werden weiterhin kreativ gepflegt. Es ist mein Anliegen, Künstlern in ihrer harten Arbeit beizustehen, ihre Musik verschiedenen Kreisen zugänglich zu machen. Es ist die grosse Herausforderung der Kommunikation – so ist die bildende Kunst ebenfalls integraler Bestandteil dieser Veröffentlichungspolitik.”
Dies bedeutet, dass die Plattenhüllen als Gemälde von den Schweizer Malern Alex Rabus und Kurt Hemez Benz gefertigt wurden. Es bedeutet auch, dass Fizzè ferner multimediale Lesungen mit Vaclav Havel plant, also weiterhin für Überraschungen gut ist. Seit zehn Jahren ist er im Musikgeschäft und hat sich hochgedient. Mal Musik für Werbespots, Organisation von Konzertveranstaltungen, Management-Erfahrungen. Dann kam vor fünf Jahren die Gründung von “Mensch Records”. Eine der ersten Veröffentlichungen stammt von Rico, dem begnadeten Posaunisten, der weite Bögen spannt, emotionalen Gebirgen gleich. Die Platte trug schlicht den Namen des Künstlers, der auch jetzt bei “The Dawn of Peeni Waali” für angenehmste Überraschungen sorgt. “Wir arbeiten auf der Ebene des gegenseitigen Einverständnisses mit Künstlern, die bereit sind, über ihren eigenen Schatten zu springen, etwas zu wagen.”
Fizzè gelang es als Multiinstrumentalist, offensichtlich einfühlsamer Produzent und inspirierender Konzeptioner, andere Musiker zu begeistern, die allesamt ahnen mussten, dass es hier weniger zu verdienen gab, als es für sie gewohnt sein mag. Die ursprüngliche Idee als ein optischer Eindruck. Ein von vielen Leutkäfern illuminierter Baum des Lebens, energetisches Wachstum gemäss einer jamaikanischen Volksmythologie. Ein Zeichen der Hoffnung, übersetzt heisst dies: “Peeni Waali”.
Artikel von Jürgen Stark im Hamburger Abendblatt – 17./18. August 1991