Von vielen Leuchtkäfern illuminiert – Lustvoll, eigenwillig
Peeni Waali ist ein markttechnisches Wagnis. Ein wunderschönes Konzeptalbum mit Musikern aus der Schweiz, aus Jamaika, England und Amerika, das trotz seiner Nähe zu Reggae kaum einer bestimmten musikalischen Richtung beizuordnen ist. Dem gerade wegen seiner lustvollen Eigenwilligkeit viele Hörer zu wünschen sind.
Der Regga-Poet Linton Kwesi Johnson hat seit 1994 keine eigene Platte mehr veröffentlicht – auf der Schweizer Produktion “Peeni Waali” trägt er nun ein speziell für dieses Projekt verfasstes Gedicht vor. Der jamaikanische Posaunist Rico Rodriguez, der zu den grossen Instrumentalisten des Ska gehört, ist in den letzten Jahren nur noch selten als Session-Musiker in Erscheinung getreten – “Peeni Waali” wird durch seine charakteristischen Intros und Soli wesentlich mitgeprägt. Der verrückte Dubmaster Lee Perry (der zwei LP’s von Bob Marley & the Wailers produziert hat) lebt seit einiger Zeit in der Schweiz, ohne bisher mit der hiesigen Musikszene gross Kontakt zu haben – für “Peeni Waali” ist er eigens ins Studio Mensch gekommen und hat einen persönlichen Beitrag geleistet. Wie auch der Zürcher Rocksänger Rams, die Mitglieder der Gruppe Débile Menthol und viele andere.
Ansteckende Begeisterung
Zu einer musikalischen Einheit zusammengeschweisst worden sind diese verschiedenen Elemente durch Fizzè aus dem Umfeld von Débile Menthol. Auf seinem “Mensch”-Label hatte er bereits zwei bemerkenswerte experimentelle Alben (“Kulu Hatha Mamnua” und “Manoeuvres d’Automne”) und eine Maxi mit Rico und der Westschweizer Heart Beat Band veröffentlicht. Für “Peeni Waali” hat er nicht nur sein eigenes Talent als Multiinstrumentalist und Produzent eingesetzt, sondern vor allem auch die Fähigkeit, andere Musiker für eine Idee zu begeistern und zur Mitarbeit zu gewinnen.
Die ursprüngliche Idee war eigentlich mehr ein starker optischer Eindruck: ein von vielen grossen Leutkäfern illuminierter Baum, den Fizzè einmal in jaaika gesehen hat. Dort heisst dieses Phänomen “Peeni Waali” und gemäss Volksmythologie soll es ein Zeichen für Hoffnung sein. Dieser markante Hoffnungsträger gibt dem Album das Thema, ohne dass dieses allerdings übermässig strapaziert wird. Der Grossteil der Nummern ist instrumental.
Der leuchtende Baum
Drei der Texte sind verschiedene Interpretationen von Jamaikanern zum “leuchtenden Baum”. Als Auftakt des Albums weitet Linton Kwsi Johnson die traditionelle Bedeutung von “Peeni Waali” aus und interpretiert ihn als Symbol für persönliche Entwicklung und Transormation. Lee Perry schweift in “Licht & Stein” bald ab und kommt zu seinem neuen Lieblingsthema, das er bereits auf seinen letzten beiden LP’s breit variierte: die Schweiz und der besondere Stellenwert des Geldes in diesem Land. Und der jamaikanische Raggamuffin Bruce Harris bringt am Schluss in einem nonsense-talk das Hoffnungssymbol in Zusammenhang mit dem sozialen Elend in seinem Land.
Der Rest ist vor allem Musik vom Feinsten. Keiner der Stars (unter ihnen auch Dennis Bovell und Robbie Shakespeare) drängt sich in den Vordergrund, das Album ist Teamwork im besten Sinn des Wortes. Obwohl viele der beteiligten Musiker dem Reggae nahestehen, ist es kein eigentliches Reggae-Album. Bezeichnenderweise wird bei der ausgeprägtesten Reggae-Nummer, der Single-Auskoppelung “Rockaman Soul”, der Bass- und Drumpart von Schweizern gespielt. Durchgehend werden musikalische Genregrenzen und Erwartungen durchbrochen. Das zeigt sich schon am eingesetzten Instrumentaribum, das neben Handorgel, Violine, Flöte, Zither, Ukulele, Balafon und Kalimba etwa auch Milchkannen und Flaschen umfasst. Ein vierstimmiger Frauenchor hat ebenso seinen Platz wie ein auf einem saudiarabischen marktplatz aufgenommener Muezzin. Mein liebstes Stück ist “Irish Ire”: eine unwiderstehliche Mischung zwischen irischer Volksmusik und Dub.
Die musikalische Leistung wird abgerundet durch eine liebevolle und durchdachte Präsentation. Das Cover ist vom Ostschweizer Künstler Kurt Benz gestaltet, das kunstvolle Layout der CD-Broschüre hat ein Spezialist gemacht. Dass “Peeni Waali” eine Art “work in progress” ist, wird dadurch betont, dass auf den verschiedenen Formaten und Musikträgern zum Teil unterschiedliche Versionen einzelner Nummern zu hören sind. Das Album ist auch auf DAT erhältlich, und die LP-Version enthält einen zusätzlichen Bonustrack.
Anregend
Als Ganzes ist “Peeni Waali” ein geglückter Versuch, die immer durchlässiger werdenden Grenzen zwischen verschiedenen Bereichen der Welt-Musik fruchtbar zu nutzen. Dass sich das Experiment gelohnt hat, zeigt bereits die eben auch auf dem Mensch-Label erschienene neue LP von Linton Kwesi Johnson, “Tings An Times”, die deutlich von der Schweizer Produktion “Peeni Waali” beeinflusst ist.
aus LLN und BZ von Guido Stefani